Zum Abschluss meines sehr besonderen Jahres nur soviel:
DANKE!
All denen, die mir nun über ein Jahr zur Seite stehen, die mich auf der so aufreibenden Suche nach einem Stammzellspender begleitet und unterstützt haben, die mit mir geheult und gelacht haben, die mich mit Liebe, Freundschaft und Zuversicht durch den brutalsten Sommer meines Lebens getragen haben und nicht aufhören, mich auch jetzt durch dunkle Tage und Stunden zu schleppen - Euch allen
DANKE!
Ich werde Silvester zuhause sein, das neue Jahr zwangsläufig alleine beginnen, mein Mann ist in seinem Club, Silvester - die Nacht der Nächte.
Dennoch: ich freue mich sehr auf meinen ganz persönlichen Start in das neue Jahr, ich werde einen - vom Doc erlaubten - Schluck Champagner trinken, Kerzen entzünden, einen kleinen Glücksklee mit dem kitschigen Schornsteinfeger traditionell auf den Tisch stellen. Und ich werde nur ganz, ganz kurz an den letzten, so traurigen Jahreswechsel denken. Ich werde in den Himmel schauen und meinen Neujahrswunsch ins Universum senden...
Mein Leben soll wieder bunt und reich sein, daran will ich arbeiten, allen Widrigkeiten zum Trotz.
Ich will weiterhin Mut und Durchhaltewillen haben, auch wenn mich immer wieder aus irgendeiner Ecke unvorhersehbare Nachwehen der Transplantation anspringen.
Ich will meine Kraft zurück und meine Leidenschaft, ich will nicht schwach und bewegungslos herumliegen.
Ich will nicht mehr schlaflos sein, will keine Schmerzen und will nicht grübeln, ich will Neues lernen.
Ich will leben - mein Bea-Leben
Ein pralles Jahr liegt vor mir, eines, das besser sein wird als das zu Ende gehende.
Es soll gut beginnen - hier, daheim.
Und das ist das Wunder (eine Freundin schrieb mir gar zu Weihnachten, ich, meine Geschichte, sei ihr "Weihnachtswunder"...): ich lebe. Und ich habe es geschafft, ziemlich gut und ohne fremde Hilfe über den Tag zu kommen.-
Von Herzen wünsche ich Euch und Euren Liebsten einen glanzvollen Start in ein glückliches, liebevolles und vor allem gesundes Jahr 2017.
Freitag, 30. Dezember 2016
Freitag, 23. Dezember 2016
Weihnachtsgruss und Dankeschön...
Liebe Freunde...
vor einem Jahr schrieb ich in meinen Weihnachtsgruss, dass reales Leben und Social Media Life in den letzten Monaten des Jahres 2015 außerordentlich aufregend und bewegend waren.
Vor einem Jahr wartete ich mehr oder weniger - je nach Tagesform - verzweifelt oder optimistisch darauf, dass sich der dringend benötigte Stammzellspender für mich finden würde. Nur wenige Wochen später, knapp drei Monate nach dem Start der Fremdspendersuche war es soweit:
Meine Spenderin war gefunden! 5 1/2 Monate nach meinem Weihnachtsgruss habe ich ein Zimmer in der Abteilung Knochenmarktransplantation der Uni Düsseldorf bezogen. Wider Erwarten hat mein Aufenthalt dort sehr lange gedauert, es gab eine Vielzahl an Komplikationen zu überstehen.
Vor einem Jahr wartete ich mehr oder weniger - je nach Tagesform - verzweifelt oder optimistisch darauf, dass sich der dringend benötigte Stammzellspender für mich finden würde. Nur wenige Wochen später, knapp drei Monate nach dem Start der Fremdspendersuche war es soweit:
Meine Spenderin war gefunden! 5 1/2 Monate nach meinem Weihnachtsgruss habe ich ein Zimmer in der Abteilung Knochenmarktransplantation der Uni Düsseldorf bezogen. Wider Erwarten hat mein Aufenthalt dort sehr lange gedauert, es gab eine Vielzahl an Komplikationen zu überstehen.
Am 74. Tag durfte ich die KMT verlassen... 73 Tage haben mich meine persönlichen Engel - meine großartige, wunderbare Familie - begleitet, Tag & Nacht.
Immer mit dem richtigen Gespür für meinen aktuellen Zustand, mit dem Gespür, mich zu trösten, mir zuzureden, mir Mut zu machen, wenn ich nicht mehr weiterkonnte, mit dem Gespür, wann ich für "IndenArschtreten" oder liebevolles Frotzeln empfänglich war. Auf diesem Familienfoto von meinem Geburtstag fehlen meine Schwägerin Ute und meine Cousine Illa... sie gehören jedoch ganz unbedingt dazu.
Immer mit dem richtigen Gespür für meinen aktuellen Zustand, mit dem Gespür, mich zu trösten, mir zuzureden, mir Mut zu machen, wenn ich nicht mehr weiterkonnte, mit dem Gespür, wann ich für "IndenArschtreten" oder liebevolles Frotzeln empfänglich war. Auf diesem Familienfoto von meinem Geburtstag fehlen meine Schwägerin Ute und meine Cousine Illa... sie gehören jedoch ganz unbedingt dazu.
So, wie meine unfassbar starke Mama, mein Kind Annabelle, mein "Personal Coach" und Bruder Rolf, wie Max... und vor allem wie Peter, mein Mann, der mir heute näher ist, als wir uns jemals waren. Dir bin ich jeden Tag dankbar, dass Du bei mir bist und mir durch dunkle Stunden hilfst.
Ich bin durch die Hölle gegangen... Dank Euch habe ich es überstanden, ich bin Euch unendlich dankbar und dies ist keine Floskel. Ich bin voller Liebe für diese Menschen und ich bin voller Liebe für meine Freunde, die mich ebenfalls über die Monate begleitet haben und noch immer begleiten. Ich kann und will nicht jeden einzelnen nennen, stellvertretend aber Karin und Brigitte, und "meine" Samstagsrunde. Meinen Chef Hans, der mir mit oder ohne Bedarf Dampf und Mut gemacht hat und macht, seiner Frau Anina, die mir immer wieder zum rechten Moment die richtigen Worte schrieb oder sagte, meinen Kollegen...
Es ist ein großes Glück, Euch alle an meiner Seite zu wissen.
Jenseits von meinem persönlichen Erleben dieses Jahres 2016 wünsche ich Euch nun von ganzem Herzen maximal erfüllte Weihnachtstage.
Zeit für Gespräche und die Dinge, die im Alltag oft untergehen! Ich wünsche Euch von ganzem Herzen Zeit für Euch, für die, die Euch wichtig sind, für das, was Ihr Euch wünscht.
Ich wünsche Euch Gelassenheit unter'm Baum und Schönes auf dem Tisch. Und natürlich im Glas (das wünsche' ich mir übrigens auch - mal sehen).
Ich wünsche Euch von ganzem Herzen stille und glückliche und traurige und lustige Momente in den kommenden Tagen.
Und das alles wünsche ich Euch auch für 2017 - und dazu einen ganzen Sack voll Gesundheit und Liebe!
Vor allem jedoch: lasst uns Rücksicht nehmen auf die, denen es nicht so gut geht wie uns, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Religion.
Lasst uns tolerant, offen und respektvoll miteinander umgehen.
Seid behutsam miteinander, nicht nur zur Weihnachtszeit. -
Fröhliche Weihnachten, Merry Christmas, Feliz Navidad, Buon Natale, Καλα Χριστουγεννα, Sretan Božić...
Sonntag, 11. Dezember 2016
Dritter Advent 2016 - Tag +180 nach Stammzelltransplantation.
Liebe alle... Euch und Euren Lieben wünsche ich einen schönen 3. Advent, geniesst die Zeit.
Ich habe heute einen ganz besonderen Tag: +180, damit ist "offiziell" (wenn auch nicht nach Datum) das erste halbe Jahr nach SZT geschafft.
Macht mich demütig und dankbar, das ist so und auch nicht anders zu formulieren, wenn es vielleicht auch etwas pathetisch klingt. Ja, tatsächlich demütig, weil ich so viele schreckliche Stunden in diesem halben Jahr erlebt habe, wie ich es vorher nicht für möglich gehalten hätte. Und ich war wirklich bis in die letzte Zelle meines Körpers vorbereitet auf alle Eventualitäten.
Ich schrieb schon einmal von der Gewalt, mit der mich meine körperlichen und auch psychischen Reaktionen ab und an überrascht haben. Dem ist noch immer so, auch wenn das unmittelbare Gefühl natürlich mit der Zeit verblasst.
Mein großartiger Bruder hat mir in einer langen, deprimierten und sehr weinerlichen Nacht am 20.7. in der Isolation folgenden Satz geschrieben:
"...denk an den 5000m-Lauf,... von den 360 Tagen hast Du 10%, von den 180 Tagen hast Du 20%, von den 100 Tagen ein Drittel - und zwar das härteste. Im Moment und nach der Krise ist es hart. Geh einen Schritt zurück und guck darauf, WO DU BIST IM VERHÄLTNIS ZU DEM, WAS DU ÜBER DEN VERLAUF WEISST. ..."
Und das mache ich gerade: auf das schauen, was schon geschafft ist:
Vor 171 Tagen, an Tag +9 konnten die ersten 100 Leukozyten nachgewiesen werden, die Dauer bis zur vollständigen Rekonstitution beträgt 6-12 Monate, bei Myelofibrose ab 12-24 Monate. T- und B-Zellen brauchen 6-24, bzw. 6-12 Monate, die NK-Zellen ("Natural-Killer-Zellen" = Lymphozyten, später T-Lymphozyten) sind schon innerhalb von drei Monaten nachweisbar. Wenn ich also das alles nehme plus noch ein paar andere Werte, mit denen ich niemanden langweilen will, dann bin ich mittlerweile eigentlich ganz weit vorne.
Zwar bewegen sich alle meine Blutzellwerte am unteren Limit, außer den Thrombos, die sind einfach viel, viel zu wenig - aber eben AM unteren Limit und nicht noch schlechter.
Ab morgen beginnt man mit den lebensnotwendigen Impfungen, deren Schutz ich mit der Hochdosis-Chemotherapie vollständig verloren habe. Natürlich ist da mit Reaktionen zu rechnen, aber ich bin vorbereitet und bleibe zur Not einfach im Bett.
Eine GvHD Grad 2 der Haut und des Darms (mittel bis schwer) habe ich dank hochdosierter Kortisongabe und erhöhter Immunsuppression relativ schadlos überstanden. Damit bin ich beim nächsten Punkt: ich bekomme nur noch 1 mg Advagraf pro Tag, ein Medikament, das mein Immunsystem unter Kontrolle halten soll und die Annahme des Transplantats, also der Spenderzellen, unterstützt. Dazu jede Menge andere Medikamente, noch immer auch Kortison, Anti-Pilze und Anti-Herpes und so weiter und so fort - aber schon so viel weniger als zu Beginn und auch bei Entlassung aus der Klinik. Man kann bei aller Beeinträchtigung also durchaus sagen: ich bin in der richtigen Richtung unterwegs.
Ich habe noch immer deutliche Knochenschmerzen - aber auch das hat so nachgelassen, dass ich meine Morphindosis auf max. 8 mg/Tag senken konnte. Nun versuche ich allmählich, es ganz weg zu lassen, das will aber noch nicht gelingen. Und Schmerzen ertragen? Nein. Nicht mehr. Zumal mein Arzt mir den verantwortungsvollen Umgang mit dem Teufelszeug zutraut.
Ich habe sogar NORO überlebt, das klingt scherzhaft, ist aber in meiner Verfassung gar nicht selbstverständlich und auch, wenn das alles in allem über 2 Wochen gedauert hat - ich hab es geschafft. Seitdem fühle ich mich Tag für Tag ein bißchen sicherer, es ist nicht mehr so, dass ich mich jeden Tag oder gar alle paar Stunden in einer anderen Verfassung wiederfinde, dass mich aus irgendeiner Ecke etwas anspringt, mit dem ich nicht umgehen kann, ein Virus, ein Infekt, Schmerzen, Bluthochdruck usw. Solche ständigen Schwankungen machen Angst und verunsichern sogar so robuste Naturen wie mich. Das scheint überstanden. Stabil auf niedrigem Niveau... aber stabil.
Deshalb lauer' ich nicht mehr pausenlos in mich hinein, sondern versuche, mich relativ normal zu bewegen. Ich gehe nach wie vor nur zum Einkaufen vor die Tür, bleibe ansonsten quasi daheim, wenn ich ganz mutig bin, treffe ich mich im GoGo mit Freunden. Alles allerdings immer rigide unter Schutzmaßnahmen und mit der professionellen Hand-Desinfektion auf dem Tisch bzw. in der Manteltasche. Und nie länger als maximal 2 Stunden und nie dürfen mehr als höchstens 4 Leute in meiner unmittelbaren Nähe sein.-
Dritter Advent 2016 - Für mich Tag +180 nach Stammzelltransplantation.
Sonntag, 4. Dezember 2016
Blick - zurück, nach vorne, in mich hinein...
Selten nur, eigentlich noch nie, ist ein Jahr so verrückt schnell an mir vorbeigesaust wie dieses 2016.
Es war von der ersten Sekunde an bestimmt von der einen einzigen, zentralen, lebenswichtigen, belastenden Frage: wird es einen Stammzellspender für mich geben? Irgendwo auf der Welt? Eine Frau? Einen Mann? Jemanden, der bereit ist, mir mithilfe seiner Stammzellen oder seines Knochenmarks Leben zu schenken? Mein Leben zurück zu geben?
Es war von der ersten Sekunde an bestimmt von der einen einzigen, zentralen, lebenswichtigen, belastenden Frage: wird es einen Stammzellspender für mich geben? Irgendwo auf der Welt? Eine Frau? Einen Mann? Jemanden, der bereit ist, mir mithilfe seiner Stammzellen oder seines Knochenmarks Leben zu schenken? Mein Leben zurück zu geben?
Alleine kriegt mein kranker Körper das nicht mehr hin. Mein verdammtes Knochenmark macht kein Blut mehr. Punkt.
Keine Chemotherapie der Welt, keine Bestrahlung, kein Glaube an wen oder was auch immer wird mich hier heraus schaffen. Auch nicht Sean Connery als 007 - und der kann immer alles...
Die letzten Stunden des Jahres 2015 verbringe ich zuhause, Peter muss arbeiten, das GoGo bricht aus allen Nähten während ich mich aufgelöst in Tränen an meinem Champagner festhalte und solche Angst habe, so alleine bin, mich nie einsamer gefühlt habe.
Ich schreibe hin: wo bin ich in einem Jahr?
Die Wochen ziehen ins Land, der Winter ist mild, ich bin regelmäßig bei meinen Ärzten, alles muss hübsch beobachtet werden, kontrolliert, protokolliert.
4. Februar 2016. 11.00h - "Wir haben einen Spender".
Ich bin im Labor, es ist Altweiberfastnacht, beinahe falle ich in Ohnmacht, zitter' am ganzen Leib als hätte ich Schüttelfrost, weine, lache, Tusche läuft quer durch mein Gesicht.
Ein Spender. Ein Stammzellspender. Hoffnung. Ich darf leben, vielleicht.
4 Tage später in der KMT, beim Helden meiner Gesundheit, Krankheit, meiner Myelofibrose. Nichts, was ich nicht schon wüsste, aber JETZT ist es ganz konkrete Planung. Ich habe entschieden, dass ich mich im kommenden Herbst/Winter transplantieren lassen will, ich möchte einen wunderbaren, leichten Sommer verbringen, mit meinem Mann, meiner Familie, Grillen mit Freunden. Sage zu meinem Arzt: ich gehe nicht im Sommer in die Isolation. Und ernte einen fast mitleidigen, schrägen Blick und ein leichtes Kopfschütteln. "Auf keinen Fall! Wir sind nicht so weit gekommen und riskieren dann ohne Not schwere Infektionen, wenn wir Sie im Winter entlassen müssten in all das Gewimmel von Grippe-, Noro- und Rotaviren. Und Zeit bis zum nächsten Jahr - die haben wir nicht!"
Wir vereinbaren: Aufnahme in die Klinik am 6.6., ab 7.6. beginnt eine Woche "Konditionierung", also die Vorbereitung auf die Stammzelltransplantation mit Hochdosischemotherapie und evtl. Bestrahlung, ob die notwendig ist, wird sich später entscheiden. Am 14.06.2016 soll ich transplantiert werden, K. sperrt meine Spenderin online noch in meinem Beisein für mich, jetzt läuft der Countdown. Ich erfahre erste Einzelheiten, die eigentlich noch strenge Verschlusssache sind. Drei Frauen wären für mich in Frage gekommen, die von ihm ausgewählte hat sogar meine Blutgruppe, 0 positiv, ist genau so groß wie ich, hat nahezu das gleiche Gewicht, keine Kinder geboren, ist ein paar Jahre jünger als ich und CMV-frei. Viele Informationen für die ich dankbar bin, kann ich mir doch so wenigstens ein kleines Bild machen. Fast euphorisch fahre ich nach Hause. Ich habe einen Termin! Es geht los! Nicht sofort, aber doch bald.
Alles steht ab sofort im Fokus der Vorbereitung auf "Meine Stammzelltransplantation". Wochen und Monate vergehen, es ist so vieles vorzubereiten, von all den Untersuchungen mal ganz abgesehen. Ich lese viel, weiß deshalb, dass auch meine Spenderin jetzt vorbereitet wird, untersucht und gecheckt und wieder gegengecheckt.
Ich gönne mir eine Auszeit, Zeit für mich alleine, fahre im Mai an die Nordsee. Gebe mich Sonne und dem Wind hin und nehme Abschied von meinem alten Leben. Selbst wenn alles ganz und gar wunderbar laufen sollte - es wird nie mehr sein, wie es einmal war. Ich werde nie mehr sein, wie ich jetzt noch bin. Meine Freundin kommt mich überraschend für einen Tag besuchen, Stunden am Strand mit Bier und Backfisch, feinstem Abendessen und abschließendem Weißwein auf der Terrasse. Zwischendurch muss ich weinen, manchmal werde ich jetzt, so kurz vorher, von meiner eigenen Courage überholt, liege nachts wach. Frage mich, ob meine Entscheidung richtig ist. Den endgültigen Ausschlag wird nur drei Tage vor meiner Aufnahme ein allerletztes Gespräch mit meiner Haus- und Hofhämatologin geben, dort muss ich die Einweisung in die Klinik abholen. Noch einmal nimmt sie sich Zeit: "Alternativlos!"
Wie verrückt muss ich sein, die ganze Kontrolle abzugeben, mich derart preiszugeben? Auf nichts mehr Einfluss zu haben. Ich werde in die Klinik spazieren und mich ausliefern. Wie froh bin ich, dass ich von der ersten Sekunde an solches Vertrauen zu meinem Arzt habe. Wie dankbar muss ich sein, dass ich dazu in der Lage bin. Wie dankbar müssen Patienten sein, solche Mediziner zu finden, Menschen, die ihnen auch in den allerschlimmsten und unvorstellbarsten Situationen den Mut zurück geben??
Ich hatte dieses Glück. Ich habe es noch immer.
Ja, ich hatte Momente, in denen ich nicht mehr wollte, in denen ich auch nicht mehr konnte. Zu schwach war, zu weinen, zu schwach, zur Toilette zu gehen, ja mich im Bett zu drehen. Heute erinnere ich mich an eine der Stationsärztinnen, die meine Hand nahm und sagte, "Frau Kallen, bitte, Sie müssen nur noch aushalten, es ist alles gelaufen, es wird gut, halten Sie durch." Und nächtliche Gespräche mit meinem Pfleger, bei dem ich mich für Geduld und Zuwendung bedanke: "Sie schaffen das! Wir machen unseren Job und sorgen dafür, dass Sie das Tal schaffen. Und jetzt sind Sie die ersten Schritte auf der anderen Seite schon alleine gegangen, machen Sie weiter, geben Sie nicht auf. Wir sind hier und helfen Ihnen." Und sie helfen mir durch alles, halten meinen Kopf, während ich nahezu pausenlos kotze, obwohl ich seit Wochen nichts gegessen habe. Wechseln klaglos und rund um die Uhr Wäsche, streicheln meine runzlige schuppige Haut, schenken mir Fürsorge und auch Mitleid. Wie dankbar bin ich. 10 Wochen und 4 Tage, 74 Tage in meinem kleinen Zimmer - behütet auch von meiner Familie, im Gesicht meiner Mutter lese ich ihre unvorstellbare Not und ihre Angst. Es quält mich, sie so zu sehen und ich bin froh, dass sie einige Tage verreisen wird. Meine Cousine wird Wochen später zu mir sagen, er war ganz nah, der Sensenmann... und ja, so war das. Mein Mann hält es kaum aus, mich so schwach zu erleben, verwöhnt mich mit Leckereien, die ich dann nicht vertrage, mein Kind cremt und schmiert meine kaputte Haut, mein Bruder hat ein fast unheimliches Gespür für die ganz und gar verzweifelten Momente und coacht mich, manchmal täglich. Redet auch spätabends beruhigend und Mut machend auf mich ein. Freundin Karin und meine Schwägerin bringen mich zum Lachen, auch wenn ich mich kaum halten kann. Brigitte hat Angst um mich, Nicole, mein Löwenmädchen, sitzt stundenlang an meinem Bett und hält meine Hand.
Ende Juli habe ich Geburtstag, unvorstellbare Tausende von Glückwünschen gehen auf allen Kanälen ein, persönliche Nachrichten von mir wildfremden Menschen, Reaktionen auf dem Blog, emails, SMS, Anrufe. Ich bin schon mittags völlig überfordert, erste fette Tränen fließen als mein Chef mit allen Kollegen vor meinem Fenster steht. Ich verhülle mich und schleppe mich nach draußen, eine halbe Stunde sitzen wir zusammen auf der Terrasse, Gluthitze herrscht, ich bin völlig erledigt, als ich zurück in mein Bett krabbel. Nachmittags ist die ganze Familie da, mein Mann, alle zusammen, wieder muss ich heulen. Abends dann meine "Mädels" vom Stammtisch. Ich bin so glücklich, aber auch so klapprig und schaffe es nur mit Brigittes Hilfe zurück in mein Zimmer.
Irgendwann wird es alles vorbei sein, sagen sie. Von jetzt auf gleich wird alles aufhören, die Schmerzen, die Übelkeit, die Angst, es nicht zu schaffen. Bei mir ist es ein Donnerstag, ich sage zu meiner Mutter, dass ich Gurkensalat möchte, so wie ich es im Moment darf: kein Pfeffer, nur ein bisschen saure Sahne, Salz, Senf, Zitrone. Alles schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Gurkensalat! Völlig unmöglich. Und doch: ich bekomme mein Wunschessen und genieße ganz vorsichtig jeden Bissen, Mama sitzt mit Tränen in den Augen vor mir. Und ich behalte es bei mir. Von da an kann ich wieder essen. Von jetzt auf gleich. Als nächstes gibt es Kartoffelpüree mit braunen Zwiebeln, dann Kartoffelsalat - ich lerne, Tee zu löffeln, dann zu trinken. Sage montags zu meinen Ärzten: am Freitag will ich nach Hause! "Guter Plan, Frau K.!" Und es gelingt! Nur eine Woche nachdem ich den ersten Bissen feste Nahrung zu mir genommen habe, holt mich die beste aller Schwägerinnen ab. Es ist der 19. August 2016.
Seitdem haben mich viele kleine und große Rückschläge erwischt, aber ich habe auch ganz viele, vor allem kleine Schritte nach vorne gemacht. Ich beobachte mich, ich achte auf mich, mache nur und ganz ausschließlich Dinge, die mich beglücken. Ich genieße die Stunden zuhause, wenn ich nicht gerade an Bett oder Sofa getackert bin, manchmal - an richtig guten Tagen - schenke ich mir kleine Aufenthalte im heiß geliebten Café à GoGo. Die Wärme, die mir dort von all den großartigen Gästen entgegen gebracht wird, hilft mir, mich mit meinem so ganz anderen, zurückgezogenen Leben anzufreunden. Es fällt mir schwer, auf all diese realen Kontakte zu verzichten. Ich kommuniziere fast ausschließlich über Social Media und WhatsApp, echte Treffen sind aufgrund meines so retardierten Immunsystems nur selten möglich.
Jede Woche muss ich in die Uniklinik, immer bin ich vorher unruhig und auch ängstlich. Wie werden meine Blutwerte sein? Kommt mein Knochenmark endlich in Gang oder sind die so dringend notwendigen Leukozyten wieder zurück gegangen? Brauche ich Transfusionen oder mehr Kortison, schaffe ich es, diese Woche mit weniger Morphium klarzukommen? Der für mich größte Erfolg: ich schaffe es, mich alleine in einen stabilen Zustand zu bringen, zu essen, zu trinken. Nicht immer gleich gut, bisher habe ich weit über 20 kg abgenommen. Es schadet mir nicht, meine Figur ist wie vor 10 Jahren. Die Haut hat sehr gelitten, klar, Chemotherapie und eine schwere Abstossungsreaktion haben sichtbare Folgen. Ich schmiere und bade, gebe ein Vermögen für gutes Material aus. Es ist mir egal, ich danke mir selber jeden Cent, mein Mann bestärkt mich in meiner Haltung.
Durch die dünn gewordene Haut meines Dekolletes schimmert dunkellila der Port, ein metallisch glänzender Zugang in aberwitziger Farbe, quasi passend zur Narbe an meinem Hals, dort, wo der ZVK über Monate steckte... Diese Narben sind verblasst, so wie die Eintrittsstellen des Flash-CT, die Einschnitte zu den Knochenmarksbiopsien in meinen Beckenknochen.
Vernarbt sind auch die Wunden, die Angst und Schmerzen verursacht haben. Nicht alle, aber doch viele. Ich denke nicht mehr dauernd daran, gestatte mir Gedanken an die Angst vor dem Sterben nicht. Du hattest Angst vor dem Sterben? Ja... schon. Nicht vor dem Tod, vor dem Sterben. Oder doch - natürlich hatte ich auch Angst vor dem Tod. Ich bin 56...
In zwei Tagen ist es sechs Monate her, dass ich mit meiner Tasche und einem Dutzend Bücher auf Station ME.10 gezogen bin, mich dort eingerichtet habe.
Noch eine weitere Woche, dann sind sechs Monate seit der Transplantation vergangen. Die ersten so wichtigen 180 Tage, ganz genau 183, habe ich dann geschafft! Bis jetzt überlebt, nicht selbstverständlich bei einer Chance von 50:50.
Es ist so unvorstellbar viel passiert in dieser Zeit - Patienten, die zur gleichen Zeit transplantiert wurden, geht es besser oder schlechter, andere sind verstorben, das berührt mich sehr, immer, auch wenn ich bis auf eine Mitpatientin aus dem UKD niemanden persönlich kenne oder kannte. Man rückt zusammen, wenn man eine solche Geschichte hat. Marina Klinkens, Dir sei hier mal ausdrücklich gedankt, es war großartig, dass Du mich besucht hast und es ist noch heute ein tolles Gefühl, wenn wir uns in der Ambulanz treffen. Ich drück Dich!
Fazit also für 2016 - tiefste Dankbarkeit, auch Demut, das Wissen, dass unser Leben ein fragiles Pflänzchen ist, das behütet sein will. Das Wissen, dass wir mehr aushalten und ertragen können als wir gemeinhin selbst für möglich halten. Das Wissen, nichts ist selbstverständlich.
Und bei aller Angst und Not und all dem, was mich so beschäftigt, beschäftigte und einschränkt: es gibt so viele Menschen, Millionen, denen es unglaublich viel schlechter geht als mir.
Euch allen, grossen, kleinen, dicken, dünnen, lustigen, kritischen, klugen, charmanten, bissigen, musikbesessenen, fußballbegeisterten, kochwütigen, sich-um-die Eltern-kümmernden, die-kinder-beschützenden Fremden und Freunden - Euch allen von Herzen eine schöne, besinnliche Advents- und Weihnachtszeit und einen grandiosen Rutsch in ein sensationelles, glückliches, erfolgreiches und vor allem gesundes Jahr 2017!!!!
Prost, Cheers, Salute, Şerefe, Salud, Yamas, živjeli ...
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