Hoffnungsvollfroh bin ich in das neue Jahr gestartet, voller Optimismus und beseelt von dem alles überragenden Wunsch, endlich, endlich, so was wie Stabilität zu erreichen.
Das ist alles ziemlich in die Hose gegangen, die letzten Wochen des Jahres 2017 und die ersten des Jahres 2018 zeichneten sich aus durch schwere Schmerzen "im Bauch"... dauernde, immer stärker werdende Bauchschmerzen, ohne dass ich die genau hätte lokalisieren können.
Mitte Januar habe ich endlich einen Termin zur Ultraschalluntersuchung und noch am gleichen Abend gegen 20.30h ruft mich der so sehr verehrte Guru an und sagt: "Tja, Frau Kallen, Ihre Gallenblase muss raus". Das gefiel nun niemandem so sehr gut, weil ich immer noch kein funktionierendes Immunsystem und vor allem keine gescheite Gerinnung habe - aber: was muss, muss, eine geplatzte Galle ist auch nicht fein.
Ich lag schon seit Tagen immer wieder kreischend auf dem Sofa, im Bett oder auf dem Boden und wand mich in Gallenkoliken. So was Furchtbares habe ich nun wirklich noch nie erlebt und ich bin wahrhaftig schmerzerprobt, 74 Tage Klinik mit reichlich Beiwerk und viele, viele Nachwehen haben mich abgehärtet. Oder doch nicht? Täglich mehrfach hat mich so eine Attacke gepackt, es war grausig. Gut, wenn ich daheim war, aber im Job? Unter meinem Schreibtisch habe ich gelegen, grün vor Schmerzen, glücklicherweise ist es nicht weit bis nach Hause, Wärmflasche und Sofa waren immer nah, sozusagen mit mir verwachsen.
Sehr schnell hatte ich Gesprächs- und Untersuchungstermine im Neusser Lukaskrankenhaus und nur ein paar Tage nach meinem ersten Besuch dort fahre ich mit der Straßenbahn nach Neuss und bekomme tatsächlich noch während der Anreise eine weitere Kolik, glücklicherweise dauert die Fahrt dorthin ein Weilchen, bis dahin war das Schlimmste vorbei.
Ich wurde an einem Sonntagabend stationär aufgenommen, sollte am nächsten Morgen gegen 10.00h operiert werden. Ein riesiges Zimmer, eigentlich für drei Patienten, hatte ich zumindest für diese Nacht für mich alleine und ein fulminanter Blick auf den Rheinturm hat auch den Rest leichter gemacht. Was, wenn nun einer dieser Polypen bösartig ist, was wenn die Galle platzt, was, wenn...??? Fragen über Fragen.
Buch, Fernsehen und dann die obligatorische Pennpille haben mich ruhig schlafen lassen, am Morgen um halb sieben kam die nächste Patientin und wurde ratzfatz noch vor mir in den OP gefahren.
Gegen Mittag hatte die Wirkung der um halb 8 verabreichten Beruhigungtablette lange nach gelassen und so lag ich um 13.00h munter mit dem Anästhesisten plaudernd auf dem OP-Tisch, bekam eine Lokalanästhesie, um den Zugang zu legen, Verkabelung, dann die Worte: "Die Anästhesie läuft, es ist jetzt 13.15h, um halb drei wecke ich Sie wieder."
Um 16.30h war ich, schön zugeballert, wieder in meiner hübsch diskreten Nische in dem schon beschriebenen grossen Zimmer.
Eine unruhige Nacht, ich hatte Schmerzen, nicht allzu heftig, konnte mich aber noch nicht drehen und konnte auch nicht schlafen.
Am nächsten Morgen wieder Fließbandbetrieb: die eine raus, Putzkommando, neues Bett, neue Patientin. Eine Russin, sehr liebenswert, aber ohne jegliche Deutschkenntnisse, dafür mit Handy am Ohr, das sie immer dann benutzte, wenn Ärzte oder Schwestern eine Frage hatten, also ständig. Sie musste dann den Sohn, die Freundin, die Schwägerin anrufen, um sich alle Fragen übersetzen zu lassen und so wanderte das Handy stets hin und her. Alle waren genervt, auch ich.
Abends kam dann unsere dritte Mitbewohnerin, eine Türkin in etwa meinem Alter, begleitet von der jüngeren Schwester, deren Mann und dem gemeinsamen Kind. Der Schwager versorgte uns zunächst reihum mit Tee, dann wurde zweisprachig die für den nächsten Morgen geplante OP besprochen. Um 20.00h kamen Ehemann und Sohn der Patientin und so standen und saßen um das eine Bett die türkische Familie mit sechs Personen und unterhielt sich, um das andere fünf Russen. Alle parlierten in ihrer Landessprache und ja, es war höllisch laut und es war auch anstrengend. Bis 22.30h, dann gingen die ersten...
Zwei Tage nach der OP konnte ich nach Hause, war aber leider überhaupt nicht so fit, wie ich mir das vorgestellt hatte, im Bauch verbliebene Rest-Luft nach der laparoskopischen OP quälte mich noch tagelang. Und dann, ja dann hab ich mir sofort den verdammten Yamagata-Virus eingefangen. Influenza B... sehr lästig, schmerzhaft und vor allem hartnäckig.
Nun ist also der 10. März... die ersten beiden Monate des Jahres sind rum und ich war bis auf sehr wenige Tage ständig krank. Zu allem, was sowieso an mir nagt und mich bremst kommt ganz aktuell eine Glaskörpertrübung des rechten Auges, wer braucht sowas?
Aber auch: seit ein paar Tagen zähle ich rückwärts, in wenigen Wochen, genau in 96 Tagen, darf ich endlich erfahren, wer meine Spenderin ist und auch mit ihr telefonieren. Vermutlich bin ich dann einer Ohnmacht nahe, aber ich freue mich so sehr und ich bin wahnsinnig gespannt, wann wir uns endlich sehen werden.
Ich weiß, dass ich, allen Widrigkeiten zum Trotz, geradezu unverschämtes Glück habe, schon bis hierhin gekommen zu sein. Viele, viel zu viele meiner Mitpatienten haben es nicht geschafft, einige kämpfen noch immer bzw. schon wieder gegen Rezidive, Nachwirkungen der Transplantation, gegen neue Grunderkrankungen. Todesfälle in diesem kleinen Kreis lähmen mich immer wieder, machen mir die Fragilität meines eigenen Lebens klar.
Es hört nicht auf und meine Vermutung, lange vor meiner eigenen Transplantation ausgesprochen, hat sich bewahrheitet.
Mein Leben wird nicht mehr so, wie es einmal war. Aber ich lebe! Gute Freunde, Gäste und entfernte Bekannte laufen auf der Straße an mir vorbei, weil sie mich nicht erkennen - alles egal, ich lebe!