Sonntag, 11. Dezember 2016
Dritter Advent 2016 - Tag +180 nach Stammzelltransplantation.
Liebe alle... Euch und Euren Lieben wünsche ich einen schönen 3. Advent, geniesst die Zeit.
Ich habe heute einen ganz besonderen Tag: +180, damit ist "offiziell" (wenn auch nicht nach Datum) das erste halbe Jahr nach SZT geschafft.
Macht mich demütig und dankbar, das ist so und auch nicht anders zu formulieren, wenn es vielleicht auch etwas pathetisch klingt. Ja, tatsächlich demütig, weil ich so viele schreckliche Stunden in diesem halben Jahr erlebt habe, wie ich es vorher nicht für möglich gehalten hätte. Und ich war wirklich bis in die letzte Zelle meines Körpers vorbereitet auf alle Eventualitäten.
Ich schrieb schon einmal von der Gewalt, mit der mich meine körperlichen und auch psychischen Reaktionen ab und an überrascht haben. Dem ist noch immer so, auch wenn das unmittelbare Gefühl natürlich mit der Zeit verblasst.
Mein großartiger Bruder hat mir in einer langen, deprimierten und sehr weinerlichen Nacht am 20.7. in der Isolation folgenden Satz geschrieben:
"...denk an den 5000m-Lauf,... von den 360 Tagen hast Du 10%, von den 180 Tagen hast Du 20%, von den 100 Tagen ein Drittel - und zwar das härteste. Im Moment und nach der Krise ist es hart. Geh einen Schritt zurück und guck darauf, WO DU BIST IM VERHÄLTNIS ZU DEM, WAS DU ÜBER DEN VERLAUF WEISST. ..."
Und das mache ich gerade: auf das schauen, was schon geschafft ist:
Vor 171 Tagen, an Tag +9 konnten die ersten 100 Leukozyten nachgewiesen werden, die Dauer bis zur vollständigen Rekonstitution beträgt 6-12 Monate, bei Myelofibrose ab 12-24 Monate. T- und B-Zellen brauchen 6-24, bzw. 6-12 Monate, die NK-Zellen ("Natural-Killer-Zellen" = Lymphozyten, später T-Lymphozyten) sind schon innerhalb von drei Monaten nachweisbar. Wenn ich also das alles nehme plus noch ein paar andere Werte, mit denen ich niemanden langweilen will, dann bin ich mittlerweile eigentlich ganz weit vorne.
Zwar bewegen sich alle meine Blutzellwerte am unteren Limit, außer den Thrombos, die sind einfach viel, viel zu wenig - aber eben AM unteren Limit und nicht noch schlechter.
Ab morgen beginnt man mit den lebensnotwendigen Impfungen, deren Schutz ich mit der Hochdosis-Chemotherapie vollständig verloren habe. Natürlich ist da mit Reaktionen zu rechnen, aber ich bin vorbereitet und bleibe zur Not einfach im Bett.
Eine GvHD Grad 2 der Haut und des Darms (mittel bis schwer) habe ich dank hochdosierter Kortisongabe und erhöhter Immunsuppression relativ schadlos überstanden. Damit bin ich beim nächsten Punkt: ich bekomme nur noch 1 mg Advagraf pro Tag, ein Medikament, das mein Immunsystem unter Kontrolle halten soll und die Annahme des Transplantats, also der Spenderzellen, unterstützt. Dazu jede Menge andere Medikamente, noch immer auch Kortison, Anti-Pilze und Anti-Herpes und so weiter und so fort - aber schon so viel weniger als zu Beginn und auch bei Entlassung aus der Klinik. Man kann bei aller Beeinträchtigung also durchaus sagen: ich bin in der richtigen Richtung unterwegs.
Ich habe noch immer deutliche Knochenschmerzen - aber auch das hat so nachgelassen, dass ich meine Morphindosis auf max. 8 mg/Tag senken konnte. Nun versuche ich allmählich, es ganz weg zu lassen, das will aber noch nicht gelingen. Und Schmerzen ertragen? Nein. Nicht mehr. Zumal mein Arzt mir den verantwortungsvollen Umgang mit dem Teufelszeug zutraut.
Ich habe sogar NORO überlebt, das klingt scherzhaft, ist aber in meiner Verfassung gar nicht selbstverständlich und auch, wenn das alles in allem über 2 Wochen gedauert hat - ich hab es geschafft. Seitdem fühle ich mich Tag für Tag ein bißchen sicherer, es ist nicht mehr so, dass ich mich jeden Tag oder gar alle paar Stunden in einer anderen Verfassung wiederfinde, dass mich aus irgendeiner Ecke etwas anspringt, mit dem ich nicht umgehen kann, ein Virus, ein Infekt, Schmerzen, Bluthochdruck usw. Solche ständigen Schwankungen machen Angst und verunsichern sogar so robuste Naturen wie mich. Das scheint überstanden. Stabil auf niedrigem Niveau... aber stabil.
Deshalb lauer' ich nicht mehr pausenlos in mich hinein, sondern versuche, mich relativ normal zu bewegen. Ich gehe nach wie vor nur zum Einkaufen vor die Tür, bleibe ansonsten quasi daheim, wenn ich ganz mutig bin, treffe ich mich im GoGo mit Freunden. Alles allerdings immer rigide unter Schutzmaßnahmen und mit der professionellen Hand-Desinfektion auf dem Tisch bzw. in der Manteltasche. Und nie länger als maximal 2 Stunden und nie dürfen mehr als höchstens 4 Leute in meiner unmittelbaren Nähe sein.-
Dritter Advent 2016 - Für mich Tag +180 nach Stammzelltransplantation.
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