36 Tage KMT - 28. Tag nach Transplantation
Ich bin nicht mehr 55 Jahre alt, sondern 28 Tage, nach neuer Zeitrechnung, die am 14.6. begann. .
Und wie ein Baby bin ich auf Hilfe und Unterstützung von außen angewiesen, um zu überleben, alleine würde mein Körper das noch nicht schaffen. Absurd! Und erschreckend.
Erschreckend vor allem dann, wenn ich mir bewusst mache, wie sensibel ich auf die kleinste Störung reagiere. Ich habe seit zwölf Tagen schwere Schmerzen, häufiges Erbrechen mit kleinen Pausen, den Kopf dauernd in der Nierenschale, ohne je etwas zu essen und nur winzigste Mengen zu trinken. Die Haut pellt sich, die Hände brennen. Durchfälle, Übelkeit. Klassische, aber milde(!!!) GvHD, Graft-versus-Host-Disease, die Spenderzellen wehren sich gegen meinen Körper. Und das ist nur die aktuelle Situation, die letzten 4 Wochen zu beschreiben, würde wirklich den Rahmen sprengen.
CT, MRT... Ständig etwas Neues, selten Gutes. Diesmal: Ein Abszess an der HWS bzw. links daneben, furchtbare Schmerzen. Komplizierterweise wird der durch die neuen, schon arbeitenden Leukozyten verstärkt! Warum? Immunabwehr ist ihr Geschäft und sie stürzen sich auf jeden drohenden Feind... Heute Abend wird unter MRT entlang der HWS punktiert. Ich hoffe... Im Falle von Nicht-Gelingen drohen Querschnittlähmung, Sepsis und multiples Organversagen, wenn "das Ding" platzt.
Im Tagesgeschäft: day by day zwischen 46 und 52 Tabletten, meist größeren oder grossen Kalibers und ca. 16 - 20 (in akuter Not auch mehr) Infusionen verschiedenster Art. Anti-Pilz, Anti-Schmerz, Anti-Abstossung, Anti-Herpes, Cortison... Manchmal bin ich nicht in der Lage, das Zeug zu schlucken, die Dinger lauern mich an wie der Feind, es kostet mich oft größte Überwindung, vor allem in dem Wissen um die nächste Kotzattacke.
Vor einigen Tagen lag das Ergebnis der humangenetischen Untersuchung meines Blutes vor, leider hat das ergeben, dass ich drei weitere Gendefekte auf dem Chromosom 9 habe. Ich versuche zu verdrängen, dass damit auch das Risiko, demnächst an einer AML zu erkranken, gestiegen ist. Stammzelltransplantation hin oder her, meine Gene sind meine Gene sind meine Gene. Lustig ist, dass ich derzeit keine nachweisbare Blutgruppe habe, obwohl meine Spenderin so wie ich 0 positiv ist.
Schlaflose Nächte voller Grübeleien, Sorgen um die fallenden Blutwerte, nachdem sich die Zellen zunächst so gut und vor allem früh bildeten, jeden Tag vorsichtiges Schielen auf den Laborzettel, gestern immerhin 2.500 Leukos und 66.000 Thrombozythen. Trotzdem bestehe ich manchmal nur aus Angst, auch wenn ich es mir nicht anmerken lassen will, die kleinste positive Änderung bewirkt dann geradezu Euphorie.
Pfefferminzöl gegen Kopfweh und Zitronenöl gegen üble Gerüche, welche Erleichterung.
Seit Tagen darf ich mein Zimmer verlassen, bin aber zu schwach und es fehlt mir der Mut. Wenn ich zum Wiegen auf dem Gang bin, sehe ich nie einen anderen Patienten, wir alle sind "eingesperrt" in unsere Zimmer, das ist schwer. Nie ein Gespräch mit anderen Betroffenen, "nur" mit Ärzten und dem Pflegeteam. Und immer geht es um meinen Zustand, in den letzten Wochen gelegentlich um die Fußball-EM, aber fast nie um das, was die Menschen sonst so bewegt.
Unendlich dankbar bin ich meiner Familie, die mir, jeder auf seine Art, helfen, mich umsorgen und schützen wie es nur geht. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist, auch und gerade bei schwerer Erkrankung. Wie tragisch muss es sein, eine solche Situation mutterseelenalleine durchzustehen...
GvHD:
http://www.leukaemie-phoenix.de/langzeitfolgen/gvhd/
AML:
http://www.kompetenznetz-leukaemie.de/content/patienten/leukaemien/aml/
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