Monatelang haben Dutzende Menschen - Fremde, Freunde, Mitpatienten - mit mir gezählt, von Hundert rückwärts bis zum Tag Null. Diesmal stand die "Null" für den Tag, an dem ich endlich erfahren würde, wer meine Stammzellspenderin ist und nicht wie üblich für den Tag der Transplantation.
1 von 2 - Klaus-Michael Köhler |
Zufällig war der 14. Juni auch der Tag, an dem ich in der Uni zur monatlichen (!) Kontrolle antreten musste, dort war alles vorbereitet für den Datenaustausch mit der DKMS, meine Spenderin hatte schon Tage zuvor ihre Daten freigegeben, und nun sollte ich endlichendlichendlich erfahren dürfen, wer sie ist.
Zunächst war alles Routine, die obligatorische Blutabnahme im Zentrallabor, das anschließende Warten, die Unterhaltung mit Mitpatienten, ein bißchen Austausch mit den mir so ans Herz gewachsenen Mitarbeitern des KMT-Teams. Einige wussten, dass es mein so heiß ersehnter 2. Jahrestag war und freuten sich mit mir.
Wie oft hatte ich mir gewünscht, wenigstens bis zu diesem Tag durchzuhalten, selber "Dankeschön" sagen zu dürfen.
Gegen 13.30h bin ich, versehen mit neuen Blutwerten, neuen Terminen in anderen Fachkliniken, neuen Medikamenten - aber ohne Adresse, ohne Namen und wahnsinnig enttäuscht nach Hause gefahren.
Alle hatten alles gegeben und nun? Nix. Kurz darauf war klar: ein Faxgerät hatte versagt... Kurzentschlossen setzten sich zwei entschlossene Frauen in Düsseldorf (die Sekretärin "meines" Professors) und Tübingen (die für den Datenaustauch verantwortliche S. - ich hatte sie nur wenige Tage zuvor kennengelernt) ans Telefon und gaben der jeweils anderen die so sehr erwarteten Daten durch.
Und während ein paar Minuten darauf mein Telefon klingelte und ich noch Namen und Telefonnummer schrieb, plingte es: "Und jetzt kommt eine Überraschung, liebe Grüße von Deiner Stammzellspenderin... Ich habe soeben Deine Mobilnummer von der DKMS bekommen... Ich freue mich schon auf unser 1. Telefonat." Bämm. Sie war schneller als ich - wie gemein.
Beide hatten wir keine Zeit, haben uns auf den nächsten Abend vertagt und dann saß ich hier, den Blick auf Blühendes gerichtet, ein Glas Wein vor mir und habe mit ihr telefoniert, mit ihr, meiner Lebensretterin.
Wir waren uns sofort vertraut, gar nicht fremd und kein bißchen unsicher. So viele Briefe haben wir uns geschrieben, uns immer versprochen, dass wir uns sehen werden.
Schon nach ein paar Minuten sagte sie: "... und natürlich komme ich nach Düsseldorf." So leicht hat sie mir all das gemacht, was ich sie fragen wollte.
Danach habe ich geweint, ich war fix und fertig und glücklich und aufgeregt.
Nun ist es also soweit: ich zähle die Tage, wieder rückwärts, von 10 bis 0. Morgen bin ich schon bei 9, nächste Woche kommt Pia. Seit Wochen schreiben wir uns beinahe täglich und immer stundenlang. Es ist ein seltsames, beglückendes, ganz wunderbares Gefühl. Wir empfinden das beide gleich, welch ein Glück. Kenntnis wird zu Kennenlernen.
Pia kommt. Wir feiern das Leben.